Ein Gespräch mit dem Bergsportler Alexander Huber. Wir reden über die Angst als Begleiter, über Stigmatisierung psychischer Krankheiten und auch darüber, was ihm geholfen hat und hätte.
Seine Heimat ist das Berchtesgadener Land, sein Arbeitsplatz die Berge und Felswände dieser Welt –heute sitzen wir mit Alexander Huber im Clubhaus Schwalbennest in München und reden über Angst.
Wir, das sind Vera Hahn vom Clubhaus und ich, Dominique de Marné. Vera und ich kennen uns von ZehnZehn – dem Münchner Aktionsbündnis für seelische Gesundheit. Bereits im sechsten Jahr organisiert ZehnZehn auch 2018 am World Mental Health Day wieder eine große Kundgebung samt anschließendem Solidaritätsmarsch in und durch die Innenstadt. Dieser Welttag der seelischen Gesundheit wurde von der WHO auf den 10. Oktober gelegt. Daher auch der Name, ZehnZehn. Vera ist die Koordinatorin dieses Bündnisses aus mehr als einem Dutzend Trägern, Einrichtungen und Unterstützern. Ich bin seit diesem Jahr dabei, um die Seite der Betroffenen mit in die Vorbereitungen und die Veranstaltung zu bringen.
Auf Alexander Huber sind wir gekommen, weil er professioneller Bergsteiger und Extremkletterer sowie einer der wenigen Prominenten in Deutschland ist, der offen damit umgeht, eine schwere Angststörung durchlebt zu haben. Vor wenigen Jahren begann er offen über seine Erfahrungen mit einer Angststörungen zu sprechen. Seitdem hat er dem Thema nicht nur ein Buch mit dem Titel «Die Angst, dein bester Freund» gewidmet. Außerdem engagiert er sich für Angst-Selbsthilfe e.V. sowie den Krisendienst Psychiatrie, dessen flächendeckende Einführung in Bayern mittlerweile beschlossen wurde. Und heute hat er sich für uns Zeit genommen.
Dem Stigma entgegentreten
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass einen psychische Probleme nicht davon abhalten müssen seine Ziele zu erreichen, in der Gesellschaft zu funktionieren, «erfolgreich» zu sein. Wie das bei und für jemandem aussieht, der seinen Lebensunterhalt mit einem Extremsport verdient, ist aber natürlich auch für mich spannend.
Wenn es bei mir «die Leute» schon überrascht, dass ich Depressionen habe – obwohl ich doch «gar nicht so aussehe» – dann muss das für jemanden wie ihn, der in einem Sport unterwegs ist, für den man mentale Stärke braucht, ja erst recht so sein. Und er bestätigt, dass die Leute eher mit einem «Was? Du?» reagieren, wenn sie von seiner Erkrankung erfahren. Aber genau das nutzt er: «Als derjenige, den man dafür kennt, dass er im Berg mental besonders stark ist – und der dann im normalenLeben ein Problem kriegt. Aber genau deswegen kann ich dem Stigma so kraftvoll entgegentreten. Ich kann sagen, dass ich es bereits erlebt habe, psychisch schwer erkrankt zu sein und diese Erkrankung aber heute überwunden habe. Oder noch präziser gesagt: dass ich diese Erkrankung soweit durchlebt und überwunden habe, dass sie mein Leben nicht mehr beeinträchtigt.»
Alexander kämpft seit 1997 gegen und mit der Angst, ist wie er sagt «sehenden Auges in die Erkrankung gelaufen» und hat sich erst Hilfe geholt, als es «schon lichterloh gebrannt hat». Das Klettern und Bergsteigen sieht er persönlich nicht als Ursache oder Auslöser seiner Erkrankung. Viel mehr den Druck, der mit der Entscheidung, Profi zu werden, einher ging. Plötzlich war es nicht mehr nur Hobby, sondern etwas, dass ihm und seiner Familie den Lebensunterhalt bringen musste. Eine ganz neue Welt.
Bei Projekten, Vorträgen und Gesprächen ziehe ich immer wieder den Vergleich zu körperlichen Krankheiten. Eine Parallele die auch Alexander zieht, um zu verdeutlichen, dass wir nicht alles mit uns selber ausmachen müssen: «Und auch hier wieder die Parallele zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen: es gibt Menschen, die haben vorbelastete Körper in die einfach Grundproblematiken eingebaut sind. Aber wenn man sich rechtzeitig drum kümmert, dann lässt sich meistens ein lebenswertes Leben damit erreichen. Und auch im psychischen Bereich gibt es genetisch bedingte Grunderkrankungen, an denen du rein prinzipiell erstmal nichts ändern kannst. Wenn du dich aber aktiv mit dieser Erkrankung auseinandersetzt, kannst du trotzdem ein lebenswertes, schönes und gutes Leben führen. Wenn du dagegen vor der ganzen Sache immer davon läufst, weil du es nicht erkennst oder weil du es nicht erkennen willst, dann lebst du ständig mit dem Problem.»
Auseinandersetzen – je früher desto besser
Ebenso wichtig, wie den Leuten bewusst zu machen, dass eine psychische Krise jeden treffen kann, ist Alexander daher auch die
Botschaft, dass es besser werden kann. Und zwar je früher desto besser. «Aber so ist eben auch mein Credo: Angststörungen, Depressionen, psychische Erkrankung im Allgemeinen – es kann jeden erwischen! Aber es gilt wie bei anderen Krankheiten auch: es ist behandelbar, es geht bergauf, es geht bergab. Das ist eben auch das normale Leben. Das Wichtige ist nur, dass man sich damit auseinandersetzt. Und wenn die Gesellschaft einem hier hilft, indem die Krankheit eben nicht stigmatisiert ist, dann ist die Bereitschaft bei den Leuten, sich damit auseinanderzusetzen, am größten.»
Dass Angst in unserer Gesellschaft so einen schlechten Ruf hat, stört Alexander. «Wenn Manager bei wichtigen Entscheidungen von Respektsprechen, dann steckt da nichts anderes als Angst dahinter.» Genau so wichtig, wie seine Ängste ab und zu zu überwinden ist es, auf die Angst zu hören. Eine von seinen Paradedisziplinen ist das Free Solo-Klettern, bei dem man ohne Sicherung und Hilfsmittel Felswände hinaufklettert und bei dem es unter einem schon mal hunderte Meter senkrecht in die Tiefe gehen kann. In solchen Momenten «wenn ich ohne Sicherung in der Wand drin hänge, dann sorgt die Angst dafür, dass ich permanent konzentriert bleibe. Und wenn die Angst mich nervös machen würde, dann weiß ich «Ich überfordere mich.« Ich habe nicht das nötige Selbstvertrauen oder das nötige Können, um diese Situation zu meistern. Dann teilt mir die Angst mit «Geh zurück. Dreh um.»
Heute nimmt das Thema Angst vor allem durch sein Engagement weiterhin viel Platz in Alexander Leben ein. Aber auch für sich weiß er: sie ist immer noch da. «Ich werde es auch nie vergessen. Ich bin damit generell anfälliger. Weil es immer im Hinterkopf ist. Wenn es in die Richtung geht, ist natürlich gleich eine gewisse Angst da, dass sie wieder so fulminant auftreten kann. Allerdings schützt mich das Ganze auch, weil ich weiß, wie es geht und welche Wege mir zur Verfügung stehen, um da wieder rauszukommen. Generell gilt: umso früher ich mich damit auseinandersetze, umso besser und weniger gefährlich für meine Psyche.»
Mittlerweile kennt er sich, weiß genau wann ein Problem für ihn relevant ist und lässt es dann nicht lange unbearbeitet. Auch generell kann er Dinge inzwischen entspannter sehen und versucht, nicht mehr länger «everybody’s darling» zu sein.
Bevor er seine Erfahrungen in Buchform veröffentlichte, hat er sich wohl überlegt, ob er dafür schon stark genug ist. Denn «man geht nicht mit etwas hausieren, bei dem man sehr potentiell wieder zurück fällt. Ich denke, dass das für mich eine der Grundvoraussetzungen war. Ich fühle mich schon sehr stark gewappnet. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, dass es mir nicht nochmal passiert. So wie sich keiner sicher kann.»
Hinschauen, damit auseinandersetzen statt davon laufen, ignorieren, zudecken – so wie es Alexander lange gemacht hat. So wie ich es lange gemacht habe. Trotz Warnungen des eigenen Körpers einfach weitergemacht. Es jahrelang alleine versuchen, bevor man endlich einsieht und erkennt, dass es so nicht weitergehen kann. In seinem Buch schreibt er dazu: »Mit einem Mal habe ich Angst vor der Angst bekommen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich professionelle Hilfe gesucht habe, die mich langsam wieder auf die Spur gebracht hat…«.
Es braucht mehr Menschen, die reden
Auf die Frage, was ihm dabei geholfen hätte früher Hilfe zu holen, antwortet er: «Naja, wenn man eben einfach ein gutes Buch darüber liest oder gute Artikel, die einem diese Symptomatiken nahe bringen. Dass eine Person, der man gerne zuhört, sagt «Das kann auch dir passieren. Mir ist es so gegangen, so war es bei mir, das hab ich gespürt»Vielleicht klingeln dann bei dem ein oder anderen tatsächlich die Alarmglocken. Aber auch, dass in der Konklusion dann gesagt wird: macht euch rechtzeitig auf den Weg. Schaut, dass ihr jemanden findet, der euch wirklich helfen kann. Ob man den dann Coach nennt oder Mentaltrainer. Und die Leute können dir wirklich helfen.» Manchmal braucht man eben den Blick von außen, weil man selber und auch die eigenen Freunde nicht mehr objektiv urteilen können. Da kann es genau das Richtige sein, wenn einem ein Profi dabei hilft, «die Spinnerei mal auseinander zu klauben».
Dass er als Profisportler eine gewisse Breitenwirkung hat, weiß Alexander natürlich. Und auch die regelmäßigen Zuschriften, in denen sich Leser für sein Engagement, seine Offenheit, seine Arbeit bedanken, zeigen ihm, dass es der richtige Schritt war, auch diese Seite von ihm öffentlich zu machen.
Auch wir sagen «Danke, Alexander»Für die angenehme Gesprächsatmosphäre, den Austausch, die Offenheit, die Zeit und die Einblicke, die du uns in dieser knappen Stunde gewährt hast. Und auch ich ganz persönlich sage «Danke». Zu wissen, dass ich auf meiner Mission zu verändern, dass und wie wir über psychische Probleme reden, solche Mitstreiter habe, tut ganz schön gut. Vieles von dem, was Alexander gesagt hat, kam mir nur allzu bekannt vor. Mich hat beeindruckt zu merken, wie sehr ihm das Thema psychische Krankheiten am Herzen liegt. Und bin mir sicher: gäbe es mehr Leute wie ihn, dann hätte das Stigma bald keine Chance mehr.
Dokumentiert wurde das Treffen mit professionellem Auge: der Fotograf Robert Brembeck hatte schon viele große Persönlichkeiten vor der Linse und sich Zeit genommen, um die Begegnung – pro bono, wohl gesagt – festzuhalten. An dieser Stelle auch dafür nochmal ein großes Danke.
Mehr über Alexander auf www.huberbuam.de.